Obhuts- und Aufsichtspflichten und –rechte im digitalen Raum: Rechtliche Informationen für stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Rahel Heeg

Fachliche Beratung: Peter Mösch (Hochschule Luzern), Daniel Sollberger (Kantonspolizei Basel-Stadt / Jugend- und Präventionspolizei)

Begriffsklärungen

Die Obhut ist ein Teilbereich der elterlichen Sorge. Obhut beinhaltet das Recht, über den Aufenthalt, über die Pflege und Erziehung einer Minderjährigen oder eines Minderjährigen zu bestimmen. Obhut beinhaltet einerseits Rechte (z.B. Regeln erlassen) und andererseits Obhutspflichten. Obhutspflicht bedeutet die Verantwortung für die körperliche, geistige, seelische und soziale Integrität des Kindes und die Verantwortung für alle notwendigen Vorkehrungen, damit diese gewahrt und gefördert wird. Die Obhutspflicht bzw. das Obhutsrecht können auf Dritte übertragen werden, z.B. auf ein Heim. Der Begriff der Schutzpflicht meint die Pflicht, Schutz zu gewähren. Dies Pflicht entsteht in Betreuungsverhältnissen zum Beispiel aus dem gesetzlichen Verhältnis von Eltern und Kindern oder aus einem Auftrag nach Obligationenrecht (bei Einrichtungen). Der Begriff der Aufsichtspflicht meint, dass Kinder angemessen beaufsichtigt werden müssen (entsprechend der konkreten Situation und dem Alter, Charakter und der geistigen Reife des Kindes). Das Mass der geforderten Sorgfalt in der Kinderbeaufsichtigung ist somit einzelfallabhängig. Grundsätzlich haben die Eltern als Teil der elterlichen Obhut die Aufsichtspflicht über ihre Kinder. Die Aufsichtspflicht kann an andere Personen übergeben werden, beispielsweise an Mitarbeitende einer Kinderkrippe. Mit der Aufnahme in eine Einrichtung übernimmt die Einrichtung die Aufsichtspflicht über ein Kind während dessen Anwesenheit in der Einrichtung.

Disziplinarmassnahmen werden erhoben, um Verstösse gegen Regeln zu ahnden mit dem Ziel, dass zukünftig die Pflichten wieder eingehalten werden. Im pädagogischen Kontext wird dieser juristische Begriff kaum verwendet, stattdessen wird eher von Regeln oder Konsequenzen gesprochen.

Sicherheitsmassnahmen haben den Zweck, (direkt oder indirekt) Sicherheit zu ermöglichen.

Freiheitsbeschränkende Massnahmen sind Massnahmen, mit denen ohne Zustimmung der Betroffenen in die körperliche und geistige Unversehrtheit oder in die Bewegungsfreiheit eingegriffen wird. 

Das schweizerische Zivilgesetzbuch betont die Persönlichkeitsrechte von allen Menschen, also auch von Kindern und Jugendlichen. Nach dem ZGB haben alle Menschen in den Schranken der Rechtsordnung die gleichen Rechte und Pflichten. (Art. 11 ZGB). Nach Art.28 ZGB hat jedes Individuum ein Recht auf Unversehrtheit unter anderem in folgenden Persönlichkeitsbereichen:

  • Physische Persönlichkeit: Schutz der körperlichen Integrität, Bewegungsfreiheit
  • Affektive (emotionale) Persönlichkeit: Schutz vor unmittelbaren und nachhaltigen Beeinträchtigungen im seelisch-emotionalen Lebensbereich
  • Soziale Persönlichkeit: Geheim- und Privatsphäre, Verschwiegenheit, informationelle Freiheit (u.a.)

Urteilsfähig sind Personen, wenn sie in einer konkreten Lebenssituation „vernunftgemäss“ handeln können, d.h. wenn sie die Tragweite des eigenen Handelns begreifen (Erkenntnisfähigkeit) und fähig sind, gemäss dieser Einsicht aus freiem Willen vernunftgemäss zu handeln (Willensumsetzungsfähigkeit).

Gefährdungsmeldung: Melderechte gegenüber KESB: Jede Person kann der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Meldung erstatten, wenn eine Person hilfsbedürftig erscheint. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über das Berufsgeheimnis.

Gefährdungsmeldung: Meldepflichten gegenüber KESB: Meldepflichtig an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ist, wer in amtlicher Tätigkeit von einer Person erfährt, die ihr hilfsbedürftig erscheint.

Überblick über Faktenlage

Grundsätzlich haben die Eltern die Obhuts- und Aufsichtspflicht und vertreten ihr Kind gegenüber Dritten, etwa einer Institution, in der das Kind lebt.

Mit der Platzierung eines Kindes in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe werden per Pflegevertrag ein Teil der elterlichen Aufgaben und Befugnisse zur Erziehung sowie Verpflichtungen zum Schutz des Kindes auf die Einrichtung übertragen. Die Einrichtung vertritt die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe. Sie verpflichtet sich für eine «getreue und sorgfältige» Ausführung des Auftrages gemäss Obligationenrecht. Wichtige Angelegenheiten werden aber weiterhin von den Inhabern der elterlichen Sorge beziehungsweise eventuell einem Beistand oder Vormund entschieden. Wie im gesamten Vertragsrecht ist besonders wichtig, was mit Heimverträgen und individuellen Vereinbarungen vertraglich vereinbart wurde und damit beweisbar ist. Mit ihrer Unterschrift akzeptieren Eltern und urteilsfähige Kinder und Jugendliche diese Verträge.

Im Rahmen ihrer Obhutspflicht übernehmen Mitarbeitende in Einrichtungen der Jugendhilfe die Verantwortung für die Unversehrtheit der Kinder und Jugendlichen. Dazu gehören auch Massnahmen, um sie zu schützen.

Im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht haben Mitarbeitende entsprechend ihren Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen keinen Schaden anrichten bzw. niemanden schädigen. Das Mass der Beaufsichtigung kann nicht allgemein umschrieben werden, es hängt von verschiedenen Faktoren ab (z. B. Entwicklungsstand und individuellen Gefährdungslagen). Wichtig: In der Schweiz sind Kinder ab 10 Jahren strafrechtlich mündig, damit tragen auch sie individuell Verantwortung, wenn sie gegen das Strafrecht verstossen.

Das Familienhaupt haftet für Personen, die seiner Aufsicht unterstehen. Als Familienhaupt gelten natürliche und juristische Personen, die eine rechtliche und tatsächliche Möglichkeit haben, das Verhalten von «Hausgenossen» zu beeinflussen und Schädigungen an Dritten zu verhindern. Somit gilt ein Verein, der ein Kinderheim betreibt, als Familienhaupt.

Ob Verletzungen der Obhutspflicht oder Aufsichtspflicht vorliegen, kann meist erst entschieden werden, wenn die Verträge und die konkreten Umstände analysiert wurden. In unklaren Fällen gilt der Massstab an Aufsicht und Obhut, der nach Treu und Glauben in der konkreten Situation normalerweise erwartet werden kann.

Kinder- und Jugendheime erhalten als Vertretung der elterlichen Sorge die Berechtigung für disziplinarische und pädagogische Massnahmen. Schutz- und Sicherheitsinteressen stehen dabei in einem Spannungsverhältnis zum Recht auf Freiheit. Zu beachten sind die Persönlichkeitsrechte des Kindes: Ein urteilsfähiges Kind kann selbstständig Persönlichkeitsrechte ausüben, ohne dass dabei die Eltern resp. der Vormund einzubeziehen sind. Die Urteilsfähigkeit ist immer in Bezug auf eine konkrete Situation zu beurteilen. Ob Persönlichkeitsrechte verletzt werden, bedarf einer Analyse der konkreten Umstände. In unklaren Fällen gilt der Massstab an Persönlichkeitsrechten, der nach Treu und Glauben in der konkreten Situation normalerweise erwartet werden kann.

Auch bezüglich Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten von besonderer Bedeutung ist, was mit einem Heimvertrag, in Reglementen oder in individuellen Vereinbarungen konkret und beweisbar vertraglich abgemacht wurde und von den Eltern als gesetzliche Vertreter, aber auch vom betroffenen urteilsfähigen Jugendlichen vertraglich akzeptiert wurden. Auch bei vorliegenden Verträgen muss die Verhältnismässigkeit der Einschränkung von Persönlichkeitsrechten kritisch geprüft werden. Ausserdem machen nur Vereinbarungen Sinn, welche auch überprüft und durchgesetzt werden können. Die Einschränkung von Persönlichkeitsrechten muss immer kritisch daraufhin geprüft werden, ob die Zwecke auch mit weniger einschneidenden Möglichkeiten erreicht werden könnten. Verträge und individuelle Vereinbarungen müssen verhältnismässig sein. Das Prinzip der Verhältnismässigkeit kann nur am konkreten Beispiel geprüft werden.

Wenn die Ausübung von Persönlichkeitsrechten durch ein urteilsfähiges Kind in einem engen Zusammenhang mit einer Gefährdung oder einem Schutzbedarf des Kindes steht, etwa das intensive Spielen von Computerspielen oder das Austauschen von persönlichen Informationen mit unbekannten Personen via Sozialen Netzwerken, so stehen sowohl die Eltern als auch die Einrichtung als Obhutsinhaber in der Verantwortung. Es braucht Güterabwägungen, um die Frage zu beantworten, wer letztlich über eine bestimmte Frage entscheiden kann – und ob beziehungsweise wie weit die gesetzlichen Vertreter zu informieren und einzubeziehen sind.

Wenn der Schutzbedarf eines Kindes nicht gewährleistet ist, kann ein Melderecht oder eine Meldepflicht gegenüber der KESB im Rahmen einer Gefährdungsmeldung bestehen. Wegleitend ist die Frage, ob das Kindeswohl gefährdet scheint, ohne dass die Eltern für Abhilfe sorgen. Fachpersonen der Sozialen Arbeit dürfen sich bei Bedarf innerhalb ihrer Dienste absprechen oder können in Zweifelsfällen mit der KESB Rücksprache nehmen. Fallbezogene Rücksprachen mit externen Personen (Lehrpersonen, etc.) sind nur zulässig, soweit es unentbehrlich ist.

Freiheitsbeschränkende Massnahmen im Zusammenhang mit Medien in der Kinder- und Jugendhilfe sind beispielsweise, wenn der Gebrauch von Handys zeitweise oder ganz verboten ist oder wenn bestimmte Soziale Netzwerke gesperrt werden. Motive der Beschränkung können in diesem Kontext sein: Sicherheitsmassnahmen, um die Sicherheit der Betroffenen, von Mitarbeitenden oder von Dritten zu schützen, disziplinarische Massnahmen als Reaktion auf Regelübertretungen und erzieherische Massnahmen zum Wohle der Betroffenen und für deren Entfaltung.

Bei freiheitsbeschränkenden Massnahmen sind folgende Grundsätze zu beachten:

  • Kindern und Jugendlichen ist eine ihrer Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung zu gewähren.
  • Bei Sanktionen (auch milden) muss die Zustimmung der Erziehungsberechtigten zu Intensität, Grund, Dauer und Art der Sanktion vorliegen.

Das Prinzip der Verhältnismässigkeit kann nur am konkreten Beispiel geprüft werden.

Freiheitsbeschränkungen müssen begründet werden. Zulässige Begründungen sind:

  • Eine gesetzliche Grundlage, um ein öffentliches Interesse resp. um Grundrechte Dritter zu schützen, unter der Bedingung, dass der Eingriff verhältnismässig ist. In einigen Kantonen gibt es Rechtsgrundlagen für Disziplinierungs- und Sicherungsmassnahmen im Jugendstraf- und Jugendmassnahmenvollzug und in der stationären Jugendhilfe.
  • Eine Einwilligung der Betroffenen, wenn sie urteilsfähig sind und über die Massnahme umfassend informiert sind. Ausnahmen bei Urteilsfähigkeit sind nur bei erheblichen Schutz- und Erziehungsbedarf möglich. Eine Vorab-Einwilligung wird umso brüchiger, je länger sie her ist, je schwerwiegender die Beschränkung ist und je weniger die Freiheitsbeschränkung vorhersehbar war.

Hintergrundinfo:

Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement verlangt von den Kantonen, dass Disziplinar- und Sicherheitsmassnahmen bei zivil- und jugendstrafrechtlich platzierten Minderjährigen (als Grundrechtseingriff) gesetzlich geregelt werden. Im Jahr 2015 bestand ein entsprechendes Gesetz allerdings nur im Kanton Bern und in einem Konkordat in den lateinischen Kantonen. In einem Gutachten aus dem Jahr 2015 wurden die bestehenden kantonalen Gesetze und Erlasse untersucht. Es wird kritisiert, dass darin pädagogische Massnahmen als eine „Vorstufe“ von Disziplinarmassnahmen verstanden würden. Das Gutachten fordert, dieses Verständnis zu hinterfragen. Es müsse klar zwischen (hauptsächlich) pädagogischen und (hauptsächlich) disziplinarischen Massnahmen unterschieden werden. So müssten in Hausordnungen und Reglementen zwischen Pädagogik und Disziplinierung unterschieden werden. Das Gutachten fordert ausserdem, dass Disziplinarmassnahmen als Notmittel solange eingesetzt werden, bis ein Rahmen wiederhergestellt ist, in dem Pädagogik wieder wirken kann. So sei den Kindern und Jugendlichen nicht nur zu erklären, welche Disziplinarmassnahme aufgrund welchen Verhaltens angeordnet wird, sondern auch, was damit erreicht werden soll.

Quellen/zum Weiterlesen:

Curaviva (2015): Professionelles Handeln im Spannungsfeld von Nähe und Distanz. Eine Handreichung aus Sicht der Praxis und der Wissenschaft. Link

Mösch, Peter (2014): Rechtliche Rahmenbedingungen für freiheitsbeschränkende Massnahmen im Heimbereich. Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz.

Gutachten (2015): Die Rechtsstellung von zivil- und jugendstrafrechtlich platzierten Minderjährigen: Gesetzliche Grundlagen und Problemfelder bei der gemeinsamen Unterbringung. Link

Schlussfolgerungen und Empfehlungen für stationäre Einrichtungen der Kin-der- und Jugendhilfe

Grundsätze

  • Bei digitalen Themen ist eine klare Auftrennung der Obhuts- und Aufsichtspflichten von Eltern und Einrichtung tendenziell schwierig, da sich Kinder und Jugendliche kontinuierlich im digitalen Raum aufhalten und es wenig Sinn macht, Handlungen zeitlich klar lokalisieren zu wollen. Beim Thema digitale Medien sollten sich Einrichtung und Eltern darum zwingend als pädagogische Partner verstehen.
  • Handlungen im digitalen Raum sind für Aussenstehende nicht unbedingt sichtbar. Sowohl Obhut- als auch Aufsichtspflichten zu digitalen Themen können darum nur wahrgenommen werden, wenn Einblick in die digitalen Welten der Kinder und Jugendlichen besteht. Nehmen Sie eine wertschätzende Haltung gegenüber den Kindern und Jugendlichen ein und zeigen Sie echtes Interesse an ihrer digitalen Welt, so dass auch problematische Handlungen oder Inhalte zur Sprache kommen können. Wenn Professionelle in erster Linie kontrollierend und sanktionierend auftreten, könnten Kinder und Jugendliche versucht sein, problematische Handlungen und Inhalte zu vertuschen.
  • Technische Lösungen wie z.B. das Blockieren von bestimmten Webseiten können einen Rahmen für die pädagogische Arbeit geben, sie ersetzen jedoch nie die pädagogische Arbeit, also das Thematisieren von digitalen Themen mit den Kindern und Jugendlichen.
  • Pädagogische Massnahmen und disziplinarische Massnahmen (Konsequenzen bei Regelverstössen) sollten eindeutig getrennt sein. Disziplinarische Massnahmen sollten nur solange und in dem Ausmass angewendet werden, bis wieder pädagogisch gearbeitet werden kann. Wählen Sie immer die Konsequenzen mit der geringstmöglichen Eingriffsintensität.
  • Achten Sie darauf, den Eltern gegenüber die Persönlichkeitsrechte der Kinder und Jugendlichen zu wahren, d.h. nicht ohne Not die Geheim- und Privatsphäre der Kinder und Jugendlichen zu tangieren.

 

Prüffragen

  • Ist die Beschreibung der Obhuts- und Aufsichtspflichten von Eltern und Einrichtung in Bezug auf digitale Themen transparent? Ist sie inhaltlich sinnvoll, d.h. sind die Zuständigkeitsbereiche und Formen der Zusammenarbeit förderlich für eine optimale Betreuung der Kinder und Jugendlichen?
  • Welche Formen des Austauschs pflegen Einrichtung und Eltern zu digitalen Themen? Wie werden diese erlebt?
  • Werden beim Austausch zwischen Einrichtung und Eltern die Persönlichkeitsrechte des Kindes gewahrt?
  • Sind Kontrollformen und Konsequenzen bei Regelverstössen verhältnismässig (z.B. Handyentzug bei Fehlverhalten)? Wären weniger einschneidende Möglichkeiten vorhanden?
  • Wird der Schutzbedarf eines Kindes/Jugendlichen im digitalen Raum durch die Eltern in gravierender Weise nicht gedeckt und ist deswegen eine Gefährdungsmeldung bei der KESB sinnvoll?

 

Musterverträge von CURAVIVA zur Nutzung von digitalen Kommunikationsmitteln durch Bewohnerinnen und Bewohner

CURAVIVA bietet Musterverträge zur Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel durch Bewohnerinnen und Bewohner an. Diese können hier runtergeladen werden.

Beispiele

Jugendliche, Eltern und eine Vertretung der Einrichtung unterschreiben beim Eintritt in die Einrichtung einen Medienvertrag, in dem steht, dass das Kind mit Einverständnis der Eltern ein Handy besitzen darf und dass die Eltern die Verantwortung für die Übernahme der Kosten, für die Instruktion des Kindes und für die Kontrolle der Nutzung übernehmen.

Dies ist rechtlich zulässig. Wichtig ist, dass genügend klar vereinbart wird, wer die Kosten trägt, welche Nutzung erlaubt ist, wie und durch wen die Nutzungsart und der Nutzungsumfang bestimmt wird und wer dies wie kontrolliert. Unabhängig von einer solchen rechtlichen Regelung sollte eine Einrichtung sowohl mit den Eltern als auch mit dem Kind einen engen Austausch zu digitalen Themen suchen, da die digitale Welt ein wichtiger Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist.

Die Mitarbeitenden haben entdeckt, dass der 15-jährige Sven mehrmals über seinen privaten Laptop Pornos geschaut hat. Sie informieren die Eltern beim nächsten Elterngespräch darüber.

Das Thema Sexualität fällt unter die höchstpersönlichen Themen mit besonderen Persönlichkeitsrechten. Hier dürfen Daten nur mit Einverständnis der Kinder/Jugendlichen oder bei überwiegend privatem oder persönlichem Interesse weitergegeben werden (vgl. @@ Persönlichkeitsrechte).

Relevant ist bei der Güterabwägung zwischen Svens Persönlichkeitsrechten und den Obhuts-und Aufsichtspflichten der Einrichtung und der Eltern auch die Frage, ob sich Sven strafbar macht. Der Konsum von legaler Pornografie ist in der Schweiz nicht sanktioniert. Also verstösst Sven nicht gegen das Gesetz, solange es sich nicht um illegale Formen von Pornografie handelt.

Nicht zuletzt stellen sich auch datenschutzrechtliche Fragen, namentlich ob die Mitarbeitenden in erlaubter Art zu dieser Information gelangt sind.

In einer Einrichtung werden Handys als Sanktion für den Rest des Tages eingezogen, wenn die Kinder/Jugendlichen das Handy während des gemeinsamen Essens benutzen.

Der Einzug von Handys ist eine freiheitsbeschränkende Massnahme. Dies muss begründet sein und die Zustimmung der Erziehungsberechtigten zu Intensität, Grund, Dauer und Art der Sanktion vorliegen.

Wenn in der Hausordnung Orte oder Zeiten festgehalten sind, an denen das Handy nicht erlaubt sind, und eine konkrete (verhältnismässige) Sanktion beschrieben wird, so ist ein Einzug als Sanktion korrekt. Dazu muss unter anderem der Zweck begründet sein (z.B. keine Unruhe beim Essen) und die Einschränkung sachlich und zeitlich beschränkt sein, z.B. Einziehen des Handys bis Ende Nachmittag. Wenn Mitarbeitende Handys ohne eine solche Grundlage, sondern «spontan» als Sanktionsmassnahme einziehen, ist dies ein unerlaubter Eingriff in Besitz und Eigentum.

Wichtig: Der Entzug des Zugangs zum Internet (Verbot von Computer, Wegnahme des Handys) ist keine pädagogische, sondern eine disziplinarische Massnahme. Zu überlegen ist, in welcher Weise die Themen pädagogisch bearbeitet werden können.

Das Handy einziehen als Konsequenz bei einem Regelverstoss wird nur bei handybezogenem Fehlverhalten empfohlen.

Eine Einrichtung sperrt bestimmte Webseiten durch eine Sicherheitssoftware.

Eine Sicherheitssoftware, die einzelne Webseiten sperrt, ist rechtlich zulässig. Eine technische Einschränkung des Zugangs zum Internet ersetzt aber nicht die pädagogische Arbeit. Zu überlegen ist, in welcher Weise Themen wie «nicht kindgerechte Inhalte im Internet» pädagogisch bearbeitet werden können.

Der 14- jährige Tom hat das Spiel Grand Theft Auto (GTA) ins Jugendheim gebracht. Er plant einen Spielabend mit den anderen Jungs. Der anwesende Sozialpädagoge ist unsicher, ob er das erlauben darf: Das Spiel ist ab 16, aber jeder hat es zu Hause und spielt es.

Altersempfehlungen bei Video-Games haben nur Empfehlungscharakter. Sie haben keine straf(rechtliche) Konsequenzen für Käufer*innen und Nutzer*innen. Da sie auf entwicklungspsychologischen Grundlagen basieren, können sie jedoch als pädagogische Richtlinie gelten. Im Einzelfall empfiehlt sich eine Recherche zum jeweiligen Game (z.B. www.spielbar.de)

Es wird empfohlen, dass sich Einrichtungen an die die Altersempfehlungen halten. Wichtig: in der Einrichtung eine gemeinsame Haltung entwickeln und sowohl mit den Eltern als auch mit den Jugendlichen das Gespräch suchen.

Die Einrichtung kann die Eltern nicht zwingen, das Spielen zu Hause zu unterbinden, aber sie kann die eigene Haltung sichtbar machen und begründen. Im Gespräch mit den Jugendlichen sollte eine wertschätzende und interessierte Haltung eingenommen werden.

Empfehlung: Ein Verbot von Spielen aufgrund von Altersempfehlungen sollte nicht situativ erfolgen, sondern in einem Medienvertrag geregelt werden.

Infos zu Altersempfehlungen von Games und Filmen unter

www.pegi.info/ch/

Kevin kommt jedes Wochenende am Sonntagabend übermüdet und überdreht in die Institution zurück. Er erzählt jeweils, er habe die ganze Nacht Horrorfilme geschaut oder Games gespielt. Den Eltern sei das egal.

Grundsätzlich tragen die Eltern die Verantwortung für ihr Kind, wenn es sich zu Hause aufhält. Die Einrichtung kann die Eltern nicht zwingen, den Medienkonsum von Kevin zu drosseln, aber sie kann die eigene Haltung sichtbar machen und begründen. In Fällen, in denen das Kindeswohl gefährdet erscheint, ist eine Meldung an die KESB verpflichtend. Falls die Eltern dem Kind gesetzlich verbotene Inhalte zur Verfügung stellen (z.B. verbotene Pornografie, reale Gewaltfilme), machen sie sich strafbar (@@). Unabhängig von rechtlichen Fragen sollte eine wertschätzende Zusammenarbeit aktiv angestrebt werden.

John, 16-jährig, hat eine leichte kognitive Beeinträchtigung. Er hat entdeckt, dass man auf Rechnung im Internet Dinge bestellen kann. Fast jeden Tag kommen Zalando-Pakete in der Einrichtung an. John kann diese gar nicht alle bezahlen.

Laut ZGB dürfen urteilsfähige Minderjährige ihr eigenes Geld (z.B. Taschengeld oder Lohn von einem Ferienjob) selbständig verwenden. Jugendliche dürfen also Dinge selbständig bestellen, wenn sie die Rechnung mit eigenen Mitteln bezahlen können und die Folgen der Bestellung abschätzen können. Für den Abschluss eines Vertrages mit finanziellen Verpflichtungen, die nicht mit eigen verdientem Geld bestritten werden können, benötigen Minderjährige die vorgängige oder nachträgliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, also in der Regel der Eltern. Die Einwilligung kann ausdrücklich oder stillschweigend gegeben werden. Stimmt der gesetzliche Vertreter dem Vertrag nicht zu, wird die Situation so behandelt, als wenn der Vertrag nie geschlossen worden wäre.

Wenn John im Zusammenhang mit den Bestellungen als urteilsfähig beurteilt wird und die Eltern als gesetzliche Vertreter von John mit den Bestellungen nicht einverstanden sind, müssen sie dem Verkäufer mitteilen, dass sie die Zustimmung für den Vertrag verweigern. Damit besteht weder ein Vertrag noch eine Zahlungsverpflichtung. Wenn die Eltern nicht aktiv werden, gilt dies als stillschweigende Einwilligung in den Vertrag. In diesem Fall besteht ein gültiger Vertrag zwischen dem Verkäufer und John. Bei Nichtbezahlen droht eine Betreibung.

Urteilsunfähige Minderjährige können keine Verträge abschliessen. Wenn John als urteilsunfähig beurteilt wird, sind alle Verträge, die er abschliesst, ungültig.

Die Mitarbeitenden der Einrichtung müssen also die Eltern über eintreffende Pakete informieren, damit diese aktiv werden können. Zusätzlich ist zu überlegen, wie John daran gehindert werden kann, Verträge einzugehen, deren Folgen er nicht abschätzen kann (Sperrung von Webseiten, ev. Sperrung bei Zalando etc.).

Pedro, 15, gibt Adrian, 15, Hotspot, weil dieser sein Datenvolumen aufgebraucht hat. Genau zu diesem Zeitpunkt erhält Adrian von einem Schulkollegen ein Nacktfoto einer Klassenkameradin zugeschickt. Er zeigt es Pedro, beide kichern und machen abschätzige Kommentare über die kleinen Brüste. Adrian schickt das Bild an seine Kollegen weiter.

Bezüglich Haftung gelten die Regelungen zwischen Einrichtung und Elternhaus. Falls die Eltern die Verantwortung für Pedros Abonnement tragen, tragen sie auch die Verantwortung für Pedros Nutzung (inklusive dem Einräumen der Nutzung des Hotspots).

Grundsätzlich gilt: Alles, was über einen Hotspot läuft, wird dem Betreiber des Hotspots zugeordnet. In der Praxis ist es schwierig herauszufinden, welche Person welche Aktivität durchgeführt hat. Pedro muss sich bewusst sein, dass bei illegalen Aktivitäten von Adrian auf den ersten Blick er selber als Urheber betrachtet wird.

Wenn das Foto als Pornografie taxiert wird, macht sich Adrian strafbar, da er einem unter 16-Jährigen Pornografie zugänglich macht. Wenn das Bild nicht als pornografisch taxiert wird, kann das Mädchen Anzeige gegen jeden einreichen, der es weiterverbreitet. Der zugefügte Schaden und damit verbundene Schadenersatz wird in einem zivilrechtlichen Verfahren beurteilt.

Unabhängig von Haftungsfragen und von straf- und zivilrechtlichen Fragen sind mit Pedro und Adrian verschiedene Themen zu besprechen: Pornografie, Mobbing, Datenschutz.

Susanna, 15, betreibt einen Beauty- und Mode-Youtube-Channel. Ab und zu erhält sie Produkte zugesandt mit der Bitte des Unternehmens, diese in einem Beitrag zu bewerben.

Dies kann ähnlich beurteilt werden wie eine kleinere Arbeitstätigkeit wie z.B. ein Ferienjob. Bei Minderjährigen braucht es die (ausdrückliche oder stillschweigende) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, damit der Vertrag gültig ist. Es ist also wichtig, dass die Einrichtung die Eltern über Vorkommnisse informiert.

Wichtig für Susanna: Gratisprodukte gelten als Sponsoring. Susanna muss im Beitrag auf das Produktsponsoring hinweisen.

Hinweise zu gesetzlichen Grundlagen

Zivilgesetzbuch

Art. 17 bis Art. 19d zur Handlungsfähigkeit der Minderjährigen

Art. 300 zu Vertretung der Eltern in der Ausübung der elterlichen Sorge

Art. 301-305 zu den Rechten und Pflichten der Eltern

Art. 333: das Familienhaupt haftet für Personen, die seiner Aufsicht unterstehen

Obligationenrecht zum Auftragsverhältnis Einrichtung - Eltern

Art. 398: Haftung für getreue Ausführung