2 Kontrolle, Persönlichkeitsrechte und Datenschutz im digitalen Raum: Recht-liche Informationen bezogen auf Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen

Begriffsklärungen

Datenschutz meint den Schutz von Personendaten und damit verbunden den Schutz der Persönlichkeit und der Grundrechte von Personen. Personendaten sind Daten, sie sich auf eine konkrete Person beziehen. Gesetze zum Datenschutz gibt es im Europäischen Raum, auf Bundesebene und in den Kantonen.

Das schweizerische Zivilgesetzbuch betont die Persönlichkeitsrechte von allen Menschen, also auch von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Nach dem ZGB haben alle Menschen in den Schranken der Rechtsordnung die Fähigkeit für Rechte und Pflichten und hat jedes Individuum ein Recht auf Unversehrtheit unter anderem in folgenden Persönlichkeitsbereichen:

  • Physische Persönlichkeit: Schutz der körperlichen Integrität, Bewegungsfreiheit
  • Affektive (emotionale) Persönlichkeit: Schutz vor unmittelbaren und nachhaltigen Beeinträchtigungen im seelisch-emotionalen Lebensbereich
  • Soziale Persönlichkeit: Recht auf Geheim- und Privatsphäre, Verschwiegenheit, informationelle Freiheit (u.a.)

(Voll) handlungsfähig ist jede Person, die volljährig (d.h. 18-jährig) und urteilsfähig ist.

Urteilsfähig sind Personen, wenn sie in einer konkreten Lebenssituation „vernunftgemäss“ handeln können, d.h. wenn sie die Tragweite des eigenen Handelns begreifen (Erkenntnisfähigkeit) und fähig sind, gemäss dieser Einsicht aus freiem Willen vernunftgemäss zu handeln (Willensumsetzungsfähigkeit).

Die Urteilsfähigkeit ist immer in Bezug auf eine konkrete Situation zu beurteilen. Eine Person kann in Bezug auf gewisse Handlungen urteilsfähig sein, in Bezug auf andere urteilsunfähig.

Wenn die Ausübung von Persönlichkeitsrechten in einem Spannungsverhältnis zu einem Schutzbedarf steht, so steht die urteilsfähige Klientin/ der Klient, als auch bei Urteilsunfähigkeit oder erheblichen Gefährdungen die Vertretung und die Einrichtung in der Verantwortung. Es braucht adäquate Entscheidungsprozesse und Güterabwägungen, wie über eine bestimmte Frage entschieden wird.

Überblick über Faktenlage

Grundprinzipien des Datenschutzes sind:

  • Rechtmässigkeit: Es braucht einen Rechtfertigungsgrund, um Daten über eine Person zu erheben, zu bearbeiten oder weiterzugeben.
  • Verhältnismässigkeit: Es dürfen nur Daten erhoben werden, welche für den Zweck des Auftrags geeignet, notwendig und für die Betroffenen zumutbar sind (d.h. wenn der Zweck gewichtiger ist als mögliche negative Folgen der Datenerhebung). Die Daten dürfen nur solange aufbewahrt werden, wie zur Erfüllung der Aufgabe notwendig. Daten dürfen nur soweit bearbeitet werden, wie es für den Zweck notwendig ist.
  • Transparenz: Die betroffenen Personen müssen über Art, Umfang und Zweck der Daten informiert werden; sie dürfen jederzeit Auskunft über ihre Daten erhalten und Dateneinsicht nehmen.
  • Treu und Glauben: Personendaten sollen transparent beschafft und bearbeitet werden. Verboten sind eine Beschaffung ohne Wissen oder gegen den Willen der betroffenen Person oder unter Täuschung der Person (zum Beispiel durch Vorspielen einer falschen Identität).
  • Zweckbindung: Daten dürfen nur für den Zweck verwendet werden, der bei der Erhebung definiert war, ausser es besteht eine explizite Einwilligung in die neue Verwendung oder eine gesetzliche Datengrundlage.
  • Richtigkeit: Die Daten sind zu datieren. Sie müssen korrekt und korrigierbar sein.
  • Datensicherheit, Informationssicherheit: Die Daten sind vor fremdem Zugang zu sichern.

Persönlichkeitsrelevante Daten dürfen erhoben, bearbeitet und weitergegeben werden, wenn einer der folgenden datenschutzrechtlichen Rechtfertigungsgründe vorliegt:

  1. Einwilligung: Wenn die betroffene Person urteilsfähig ist, braucht es eine Einwilligung dieser Person. Dabei ist zu beachten: Die Person muss verstehen, was wozu und mit welchen möglichen Folgen erhoben wird; Blankobevollmächtigungen reichen nicht. Ausserdem muss die Einwilligung freiwillig sein: Mögliche Nachteile bei einer Verweigerung müssen im Zusammenhang mit dem Zweck der Datenbearbeitung stehen und verhältnismässig sein. Wichtig: Wenn eine Person bezogen auf einen bestimmten Sachverhalt urteilsfähig ist (wenn sie also die Tragweite des eigenen Tuns abschätzen kann), entscheidet sie darüber grundsätzlich selbständig. Die Urteilsfähigkeit bezieht sich immer auf den aktuellen Sachverhalt. Falls die betroffene Person nicht urteilsfähig ist, braucht es eine Einwilligung der gesetzlichen Vertretung. Absolute höchstpersönliche Rechte (z.B. Liebe und Sexualität) sind vertretungsfeindlich, niemand anderes als die betroffene Person kann über die entsprechende Frage entscheiden.
  2. Gesetzliche Ermächtigung zur Datenfreigabe resp. -bearbeitung: Eine Informationsbeschaffung oder Informationsweitergabe ist ohne Einwilligung und gegen den Willen der betroffenen Person möglich, wenn dies in Zusammenhang steht mit der Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags. Für Wohnheime relevant ist die Meldepflicht gegenüber Kindes- und Erwachsenenschutzinstanzen.
  3. Bei überwiegendem privaten oder öffentlichen Interesse, z.B. in akuten Notsituationen

Wenn eine Einrichtung beispielsweise die Surf-Chronik der Klientinnen und Klienten protokollieren will, so müssen vorliegen: eine Einwilligung der Klientinnen/Klienten (wenn sie in diesem Bereich urteilsfähig sind) oder der Vertretung (wenn die Klientin/der Klient insoweit urteilsunfähig oder sehr schutzbedürftig erscheint); zudem ein definierter, zulässiger Zweck der Massnahme und ein definiertes Vorgehen, wie mit diesen Daten umgegangen wird (Zugriff, Aufbewahrung, Verarbeitung etc.) sowie notwendige technische Sicherungsmassnahmen vor unbefugtem Zugriff auf die Daten. Es muss also klar geregelt sein, welche Daten durch wen mit welchem Zweck angeschaut werden. Hierbei ist die Verhältnismässigkeit zu beachten (z.B. ob ein erhöhtes Gefährdung- oder Missbrauchsrisiko besteht). Wenn beispielsweise ein Klient mit guten Nutzungskompetenzen anderen Klienten Apps auf ihren Telefonen installiert, ist eine Überprüfung ohne Einwilligung bei einer Gefährdung dieser weiteren Klienten verhältnismässig. Mit dem Klienten sollte die potenzielle Gefährdung der weiteren Klienten besprochen werden und sollten Regeln erarbeitet werden.

Daten dürfen an Dritte nur mit einem Rechtfertigungsgrund weitergegeben werden (siehe oben). Dies beinhaltet auch die Information der Vertretung! Diese dürfen bei höchstpersönlichen Themen (z.B. Sexualität) nur mit Einverständnis der Klientinnen oder Klienten oder bei überwiegend privatem oder persönlichem Interesse informiert werden. Wenn beispielsweise ein Klient regelmässig legale Pornografie konsumiert, so ist eine Information der Vertretungsperson nur dann angemessen, wenn der Pornokonsum ein gefährdendes Mass annimmt.

Wenn Klienten und Klientinnen mit ihren Handys Fotos innerhalb der Einrichtung machen und diese ohne Einwilligung der Abgebildeten weiterschicken, ist eine Überprüfung der Handys nur bei einem dringenden Verdacht auf einen strafrechtlich relevanten Vorfall verhältnismässig. In diesem Fall dürfen die Betreuungspersonen das Handy der Polizei übergeben oder (mit Einverständnis der Klientin/des Klienten) überprüfen. Unabhängig von der Frage der rechtlichen Relevanz sollte ein solcher Konflikt auf dem Wohnbereich bearbeitet werden und sollten gemeinsame Regeln erarbeitet werden.

Ob Persönlichkeitsrechte verletzt werden, kann nur nach Analyse der konkreten Umstände entschieden werden. In unklaren Fällen gilt der Massstab an Persönlichkeitsrechten, der nach Treu und Glauben in der konkreten Situation normalerweise erwartet werden kann. Bei Einschränkung von Persönlichkeitsrechten muss immer kritisch geprüft werden, ob die jeweiligen Zwecke auch mit weniger einschneidenden Möglichkeiten erreicht werden können.

Bezüglich Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten von besonderer Bedeutung ist, was mit einem Heimvertrag, in Reglementen oder in individuellen Vereinbarungen konkret und beweisbar (vertraglich) abgemacht wurde von den Klientinnen und Klienten, soweit sie in diesem Bereich urteilsfähig sind oder von der Vertretung (bei Urteilsunfähigkeit) akzeptiert wurde. Es sind nur Vereinbarungen sinnvoll, welche auch überprüft und durchgesetzt werden können. Auch bei vertraglichen Vereinbarungen muss die Verhältnismässigkeit der Einschränkung von Persönlichkeitsrechten kritisch geprüft werden.

Avenir Social (Mösch Pavot & Pärli 2013) empfiehlt, den Schutz der Person grundsätzlich höher zu gewichten als das Informationsinteresse der Organisation. Sie empfehlen deswegen folgende Regeln im Umgang mit persönlichen Daten: [Empfehlungen sprachlich vereinfacht]

  • den Umfang der Daten genau definieren;
  • die Kompetenz der Auskunftserteilung im Voraus für verschiedene mögliche Situationen regeln;
  • Melde- und Anzeigepflichten transparent machen;
  • die Verantwortung für das Vernichten und Archivieren von Daten regeln;
  • ein Verzeichnis über die Daten erstellen inkl. Zweck, Inhalt und Art der Bearbeitung;
  • ein Sicherheitskonzept mit Zugriffskontrolle und Zugriffsbeschränkung ausarbeiten;
  • die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Datenschutzaspekte informieren.

Quelle/zum Weiterlesen:

Curaviva (2015): Professionelles Handeln im Spannungsfeld von Nähe und Distanz. Eine Handreichung aus Sicht der Praxis und der Wissenschaft. Link

Mösch Pavot, Peter, Pärli, Kurt (2013): Datenschutz in der Sozialen Arbeit: eine Praxishilfe zum Umgang mit sensiblen Personendaten. Bern: AvenirSocial - Soziale Arbeit Schweiz

Schlussfolgerungen und Empfehlungen bezogen auf Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen

Grundsätze

  • Prüfen Sie, ob eine Datensammlung mit Blick auf die Zielsetzung der Einrichtung wirklich notwendig und die Weitergabe von Daten verhältnismässig ist: Suchen Sie nach Wegen, um so wenig Daten wie möglich zu sammeln, diese so kurz wie möglich zu speichern und nur den Personen Zugriff zu geben, welche diese tatsächlich benötigen.
  • Stellen Sie sicher, dass eine Einwilligung zur Datensammlung und -weitergabe vorliegt (ausser es besteht ein gesetzlicher Auftrag, dann reicht eine Information dazu).
  • Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte von Klientinnen/Klienten (z.B. Blockieren von bestimmten Webseiten), das Speichern von persönlichen Daten (z.B. Protokollieren des Chatverlaufs) und das Weitergeben von Daten (auch an die Vertretung!) müssen verhältnismässig und transparent sein. Bezüglich Verhältnismässigkeit braucht es Abwägungen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und Recht auf Privatsphäre der Klientinnen und Klienten und dem Schutzauftrag der Einrichtung. Prüfen Sie immer, ob die Zwecke eines Persönlichkeitseingriffs auch mit weniger Eingriffsintensität erreicht werden können.
  • Die Daten sind technisch vor unbefugtem Zugriff zu sichern.
  • Diskutieren Sie innerhalb der Einrichtung Spannungsfelder von Persönlichkeitsrechten und entwickeln Sie eine gemeinsame, breit abgestützte Haltung.
  • Abmachungen und Regeln zur Nutzung digitaler Medien sind mit (kleineren oder grösseren) Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Klientinnen und Klienten verbunden. Entwickeln Sie Medienregeln unter dem Gesichtspunkt, dass diese den Klientinnen und Klienten Erfahrungs- und Gestaltungsfrei- räume gewähren. Lebensweltorientierung bedeutet in diesem Themenbereich, den Zugang der Klientinnen und Klienten zur digitalen Welt nicht zu stark einzuschränken.
  • Medienregeln sollen einfach umsetzbar sein (kontrollierbar, mit realistischen, klar vereinbarten und durchsetzbaren Folgen).
  • Die Klientinnen und Klienten sollten Medienregeln als sinnhaft und angemessen erleben. Darum: Medienregeln, soweit möglich, in Diskussion mit den Klientinnen und Klienten aushandeln und regelmässig anpassen/revidieren. Hilfreich sind auch Spielräume bei der Umsetzung der Regeln. Dadurch ist ein (in gewissem Umfang) ergebnisoffener Aushandlungsprozess möglich, wodurch die Klientinnen und Klienten nicht als «Verwaltungsobjekte» adressiert werden, sondern als handlungsfähige Akteure.

Prüffragen

Avenir Social (Mösch Pavot & Pärli 2013) schlägt folgende Prüffragen vor (adaptiert auf medienbezogene Themen):

Rechtmässigkeit:

  • Liegt eine echte Einwilligung zur Erhebung von Personendaten vor oder besteht ein gesetzlicher Auftrag?
  • Ist der Zweck der Datenerhebung konkret beschrieben?
  • Ist die Klientin/ der Klient imstande, die Konsequenzen der Datensammlung zu verstehen und kann damit selber die Einwilligung geben?
  • Kann die Einwilligung verweigert werden? (z.B. Medienvertrag nicht unterschreiben)
  • Bezieht sich der gesetzliche Auftrag explizit auf Medienthemen? (z.B. Isolierung im Strafvollzug)
  • Liegt eine echte Einwilligung zur Weitergabe von Personendaten vor oder besteht ein gesetzlicher Auftrag? Bei höchstpersönlichen Themen gilt dies auch bezogen auf die Information der Vertretung!

Verhältnismässigkeit: Ist die Datenerhebung für den Zweck des Auftrags geeignet, notwendig und für die Betroffenen zumutbar? Besteht ein besonderer Schutzbedarf in Bezug auf Mediennutzung? Gefährdet die Klientin/ der Klient potenziell sich selber oder andere?

Transparenz: Erhalten die Klientinnen/Klienten und die Vertretung genügend Informationen über die Art der erhobenen Daten und den Umgang damit? Können sie Einsicht in die Daten nehmen?

Zweckbindung: Werden die Daten nur für den konkret definierten Zweck verwendet?

Hinweise zu gesetzlichen Grundlagen

Der Wert von Freiheit und Selbstbestimmung prägt die gesamte Rechtsordnung (Bundesverfassung, kantonale Verfassungen, Völkerrecht, Strafrecht, Privatrecht). Auch zum Datenschutz ist die gesetzliche Ordnung zum Datenschutz unübersichtlich, mit mehr als 150 Bundeserlassen, zusätzlich Erlassen im Strafrecht und im Zivilrecht, ausserdem bestehen sowohl bundesrechtliche als auch kantonalrechtliche Datenschutznormen.

Wichtige Gesetzesartikel:

Schweizerische Bundesverfassung

Art. 10: Recht auf persönliche Freiheit

Art. 13: Anspruch auf Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten und auf informationelle Selbstbestimmung

Strafgesetzbuch

Insb. Art. 320 (Amtsgeheimnis)

Zivilgesetzbuch

Art. 11 -19: Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit

Art. 28: Schutz der Persönlichkeit gegen Verletzungen

Datenschutzgesetz: DSG; kantonale Datenschutzgesetze

Europäische Menschenrechtskonvention: Art 8: Recht auf Achtung des Privatlebens