Was gebe ich im Internet über mich preis: Rechtliche Informationen für stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Rahel Heeg

Fachliche Beratung: Peter Mösch (Hochschule Luzern), Daniel Sollberger (Kantonspolizei Basel-Stadt / Jugend- und Präventionspolizei)

Begriffsklärungen

Öffentlich(keit) und Privat(heit): Die Grenze zwischen öffentlich und privat kann laut Jeff Weintraub auf zwei Arten definiert werden: Erstens kann unterschieden werden zwischen Dingen von kollektivem (öffentlichem) versus individuellem (privatem) Interesse. Zweitens kann unterschieden werden zwischen einem frei zugänglichen und für jedermann sichtbaren (öffentlichen) Bereich versus einem vor fremdem Blicken geschützten (privaten) Bereich.

Überblick über Faktenlage

Eine entscheidende Frage im Umgang mit der digitalen Welt im Allgemeinen und mit Sozialen Netzwerken im Besonderen ist die Frage, welche Informationen Kinder und Jugendliche auf welchen Plattformen über sich zur Verfügung stellen. Die Hauptproblematik ist hier nicht, dass die Jugendlichen gegen Gesetze verstossen, sondern vielmehr, dass sie unüberlegt persönliche Informationen über sich veröffentlichen. Zentral ist das Thema also nicht wegen möglichen strafrechtlich relevanten Delikten, sondern wegen der möglichen Auswirkungen für die Kinder und Jugendlichen selber. Die Kinder und Jugendlichen sollten deswegen den Grundsatz kennen: «Das Internet vergisst nichts».

Die meisten Menschen gehen davon aus, dass Informationen privat bleiben, wenn sie in einer vertraulichen, intimen Situation geteilt wurden. Durch die allgemeine Zugänglichkeit und schwere Kontrollierbarkeit des Internets sind solche tradierte soziale Normen allerdings nur noch beschränkt wirksam. Viele soziale Netzwerke sind darauf ausgelegt, die Nutzenden zur Verbreitung von Nachrichten und Kommentaren aufzufordern. In der digitalen Welt sind deswegen die «klassischen» Annahmen über getrennte Bereiche von öffentlich und privat und über die Sichtbarkeit und Verbreitung von Mitteilungen ausser Kraft gesetzt. Auch bei der Unterscheidung von kollektivem (öffentlichem) versus individuellem (privatem) Interesse führen «klassische» Annahmen in die Irre wie z.B., dass sich sowieso nur das direkte persönliche Umfeld für die eigene Person interessiere und kein öffentliches Interesse am eigenen unspektakulären Alltag bestehe. Auch Nutzungsrechte entsprechen nicht den tradierten Gewohnheiten (z.B. hat Facebook das Verwertungsrecht über alles, was auf diese Plattform hochgeladen wird).

Zwar ist allgemein bekannt, dass man im Netz vorsichtig sein soll mit der Preisgabe persönlicher Informationen. Viele Personen (nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene) halten jedoch den Schutz ihrer Privatsphäre zwar generell für wichtig, übertragen dies aber nicht oder nur bedingt auf ihr eigenes Handeln (das sogenannte Privacy-Paradox).

Auch die Einrichtungen selber stehen vor Datenschutzfragen, wenn sie beispielsweise für die Beziehungsarbeit oder für Projekte mit den Kindern und Jugendlichen über Social Media wie bspw. WhatsApp kommunizieren, Grundsätzlich sind hierbei die Nutzungsbestimmungen der jeweiligen Anbieter zu beachten. Eine Verletzung der Nutzungsbestimmungen (z.B. jünger als das Mindestalter) hat allerdings vermutlich keine Folgen für die Nutzerinnen und Nutzer. Aus Datenschutzgründen sollten Kommunikationen mit privaten und intimen Themen, die Beratungscharakter annehmen, nach Möglichkeit nicht auf Plattformen stattfinden, welche die Daten zentral verwalten und zu kommerziellen Zwecken auswerten.

Hintergrundinfo/Zum Weiterdenken:

Jugendliche sind laut einer Studie von Boyd sehr wohl an der Wahrung ihrer Privatsphäre interessiert; nur verstehen und erleben sie Privatsphäre anders als Erwachsene. Jugendliche sind um Privatsphäre insbesondere im Zusammenhang mit Personen bemüht, die Macht über sie haben, also z. B. Eltern und Lehrkräften. Es ist Jugendlichen ein Anliegen, dass diese Erwachsenen nicht alles über sie wissen, und sie entwickeln mitunter Strategien für einen digitalen Raum ohne Einsicht von Erwachsenen.

Nachrichten und Informationen in Sozialen Netzwerken erleben die Jugendlichen hingegen als privat, da sich in ihrem direkten Peer-Kontext wähnen. Es ist für Jugendliche schwer nachvollziehbar, dass Nachrichten in Sozialen Netzwerken eine Form von Öffentlichkeit beinhalten und dass unsichtbare Zuhörer und Zuschauer vorhanden sein können. Sie können sich oft nicht vorstellen, dass sich Personen/Firmen außerhalb ihres direkten Freundeskreises für ihre Aktivitäten im Netz interessieren könnten.

Manche Kinder und Jugendliche können sich auch nur schwer vorstellen, dass Personenangaben vorgetäuscht werden können.

Weiterführende Informationen finden Sie beispielsweise hier:

Boyd, Danah (2014): Es ist kompliziert. München: Redline-Verlag

Weintraub, Jeff und Kumar, Krishan (1997): Public and Private in Thought and Practice. Chicago/London: The University of Chicago.

Checkliste «Sicherheit in Sozialen Netzwerken»: Link

Website «Medienprofis» von Pro Juventute: Link

Schlussfolgerungen und Empfehlungen für stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Grundsätze

  • Die Kinder und Jugendlichen müssen die Funktionsweise des Internets und von Sozialen Netzwerken kennen. Insbesondere müssen sie wissen, dass Informationen, die einmal in Umlauf gebracht wurden, nicht mehr entfernt werden können. Vorgefallenes kann kaum mehr aus der Welt geschaffen werden, auch nicht durch die Polizei.
  • Diskutieren Sie mit den Kindern und Jugendlichen, welche Informationen über sich selber sie wo gegenüber wem und in welcher Weise preisgeben und was die Konsequenzen daraus sein könnten. Diskutieren Sie auch Fragen der Vertrauenswürdigkeit und Regeln der Kommunikation mit unbekannten Personen. Im Mittelpunkt sollten nicht Verbote oder Gefahren stehen. Die Kinder und Jugendlichen sollten befähigt werden, eine eigenständige Position zu entwickeln. Es sollte respektiert werden, wenn die Kinder und Jugendlichen zu abweichenden Einschätzungen kommen als man selber. Mögliche Prüffragen könnten sein: «Könnte man diese Informationen gegen mich verwenden, wenn sie in falsche Hände gerieten? Kann und will ich dieses Risiko eingehen? Kann ich das Risiko vermindern?»

Prüffragen

  • Kennen die von uns betreuten Kinder und Jugendlichen die Funktionsweise des Internets und von Sozialen Netzwerken?
  • Wie bewegen sich die von uns betreuten Kinder und Jugendlichen im Netz? Welche Informationen geben sie über sich preis?
  • Haben die von uns betreuten Kinder und Jugendlichen das notwendige Wissen und geeignete Strategien, wie sie mit ihnen unbekannten Personen kommunizieren können?
  • Sind wir mit den von uns betreuten Kindern und Jugendlichen im Gespräch darüber, welche persönlichen Informationen sie mit wem teilen?

Beispiele

Mira, 16, hat eine leichte kognitive Beeinträchtigung. Sie hat seit einiger Zeit auf einer Chatplattform Kontakt mit einer ihr unbekannten Person und ist überzeugt, dass dieser junge Mann die Liebe ihres Lebens ist. Sie plant ein Treffen bei ihm zu Hause.

Durch ihre Leichtgläubigkeit kann sich Mira in erhebliche Gefahr begeben. Die Einrichtung ist mehrfach gefordert: Erstens ist es wichtig, den betreuten Kindern und Jugendlichen präventiv das notwendige Grundwissen zu Verhaltensregeln im Netz zu vermitteln (z.B.: keine Treffen mit Personen, die man im Internet kennengelernt hat resp., falls ein Treffen absolut notwendig erscheint, nur mit einer erwachsenen Begleitung). Gerade wenn kognitive Beeinträchtigungen vorliegen, braucht es darüber hinaus möglicherweise weitere konkrete Schutzmassnahmen wie beispielsweise, regelmässig mit den Kindern/Jugendlichen das Onlineverhalten detailliert betrachten oder allenfalls die Chronik des Internetverlaufs überprüfen.

Zweitens müssen die Fachpersonen mit Blick auf die beschriebene Situation intervenieren, diese mit Mira detailliert besprechen und bei Bedarf konkrete Schutzmassnahmen ergreifen (z.B. Mira zu einem Treffen begleiten). Dies ist nur möglich, wenn die Fachpersonen rechtzeitig, d.h. vor dem Treffen, von der Angelegenheit erfahren. Bedingung dafür sind vertrauensvolle Beziehungen zwischen Fachpersonen und den Heranwachsenden. Der Fokus in der Interaktion zwischen Fachpersonen und Kindern/Jugendlichen sollte darum nicht auf Verboten und Regeln liegt, damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Kinder und Jugendliche ihre Erlebnisse mit den Fachpersonen teilen.

Anna, 14, muss als Konsequenz für ein Fehlverhalten das Handy für einen Tag abgeben. Weil sie damit alle Flämmchen auf Snapchat verloren würde, fragt sie Sarah, 15, ob diese in ihrem Namen auf Snapchat ihren Kontakten schreibt. Sie gibt Sarah das Passwort zu ihrem Account. Sarah ändert darauf das Passwort, so dass Anna darauf keinen Zugriff mehr hat, und verschickt in Annas Namen beleidigende Nachrichten an deren Kontakte.

Sarahs Vorgehen ist ein Gesetzesverstoss und kann angezeigt werden, bzw. zivilrechtlich als Persönlichkeitsverletzung zu Schadenersatz oder Genugtuung führen.

Dass das Passwort an eine Freundin, einen Freund weitergegeben wird, geschieht immer wieder. Präventiv sollte den Kindern/Jugendlichen veranschaulicht werden, welche Funktion ein Passwort hat und dass dieses nicht geteilt werden soll. Einzige Ausnahme können die Eltern sein.

(Für ein sicheres Passwort am einfachsten einen persönlichen Satz merken und jeweils den ersten oder letzten Buchstaben jedes Wortes benützen)

Möglicherweise bedeutet die Regel, das Handy einen Tag lang abgeben zu müssen, auch einen zu grossen Verstoss gegen die jugendlichen lebensweltlichen Kommunikationsregeln. Regeln sollten gemeinsam mit den Heranwachsenden entwickelt und regelmässig überprüft werden, damit die Heranwachsenden selber sie als sinnhaft erleben und nicht als rigide Disziplinierung. Dies senkt die Gefahr, dass die Mediennutzung heimlich geschieht.

Jessica, 15, schickt ihrem Freund Jan, 15, ein Nacktfoto als Beweis ihrer engen Freundschaft. Kurz darauf macht Jan Schluss. Einige Tage später ist das Bild in ihrer Schule in Umlauf. Jessica fühlt sich tief beschämt.

Falls das Bild als pornografisch beurteilt wird, handelt es sich um illegale Kinderpornografie und ist für alle Personen sogar der Besitz strafbar. Zudem macht sich Jessica als Herstellerin von Kinderpornografie strafbar.

Wird das Bild als aufreizendes Sextingfoto (noch nicht pornografisch) beurteilt, dann kann unter Umständen trotzdem eine Straftat vorliegen (Nötigung, Art. 181 StGB oder Drohung, Art. 180 StGB). Jessica kann in diesem Fall gegen Jan Anzeige einreichen. Ansonsten ist eine zivilrechtliche Klage möglich; der zugefügte Schaden und damit verbundene Schadenersatz wird dann in einem zivilrechtlichen Verfahren beurteilt. Dieser Weg sollte aber immer nur nach anwaltschaftlicher Beratung gegangen werden. Der soziale Schaden ist aber immer immens und ein solches Foto wird nie aus dem Internet verschwinden.

Informationen zur den Gefahren von Sexting-Bilder gehören sicherlich zu den grundlegenden Präventionsaufgaben. Gleichzeitig geht bei diesem Thema ein Graben zwischen einem «rationalen» Zugang und der lebensweltlichen Bedeutung von Handlungen für Kinder und Jugendliche auf. So ist gerade wegen der damit verbundenen Gefahr ein Sexting-Bild ein ultimativer Vertrauensbeweis und umgekehrt die Zurückweisung eines solchen Wunsches ein Misstrauensbeweis. Diese Komponente sollte bei der Diskussion des Themas genügend Raum erhalten und die Fachpersonen sollten hierbei die Sichtweisen und Begründungen der Jugendlichen ernst nehmen und wertschätzend darauf eingehen.